Vermutlich entwickelte sich das Wort Karneval aus dem lateinischen „carnem levare“, was in etwa „vom Fleisch ablassen“ bedeutet. Die 40tägige Fastenzeit vor Ostern beginnt am Aschermittwoch, zuvor wird ausgelassen gefeiert.

Die Chronik des Dogen Vitale Falier erwähnt ein erstes Karnevalsfest im Jahr 1094, Masken sind für das 13. Jahrhundert verbürgt, in der Renaissance avanciert die Maske zum zweiten Gesicht und zu Lebzeiten Casanovas wird in größter Pracht und mit lockeren Sitten gefeiert, bis 1797 Napoleon der Markusrepublik ein Ende setzt. Künstler wie Pietro Longhi, Francesco Guardi, Giandomenico Tiepolo und Gabriel Bella liefern mit ihren Gemälden ein lebendiges Bild von den Redouten und Vergnügungen des 18. Jahrhunderts (und lohnen daher den Besuch der Museen von Ca’Rezzonico und Querini Stampalia).

Historisch ist der Giovedi grasso, der Faschings-Donnerstag, für Venedig von großer Bedeutung. An jenem Tag im Jahr 1162 errang der damalige Doge einen entscheidenden Sieg über den Patriarchen von Aquileia. Um der Geiselhaft zu entgehen, mussten die Besiegten eine Tributzahlung in Form von jährlich an Venedig zu liefernden 12 Schweinen und eines Stieres leisten. Fortan feierte Venedig den Jahrestag des Sieges mit einer festlichen Veranstaltung auf dem Markusplatz mit „Prozess“ und anschließender „Hinrichtung“ der gelieferten Tiere. Akrobatische Darbietungen wie Seiltänzer oder menschliche Pyramiden, die Präsentation von wilden Tieren in Zwingern, Puppentheater, Aufführungen auf den zahlreichen Bühnen, Tanz, Glücksspiele, Lotterien und Feuerwerk boten weitere Unterhaltung.

Der Engelsflug ist ab dem 17. Jahrhundert verbürgt. Vom Campanile wurde ein Seil zu einem Floß im Bacino gespannt. Nun zog man einen zum weißen Engel verkleideten Akrobaten hinauf in die Turmstube, in luftiger Höhe vollzog der Engel dann waghalsige Kunststücke, um anschließend noch auf einem weiteren Seil vom Campanile hinüber zum Dogenpalast zu balancieren. Beim heutigen Volo dell’Angelo schwebt der Engel nur noch – selbstverständlich mehrfach gesichert – vom Glockenturm hinunter auf den Markusplatz.

Das Tragen einer Maske bot Anonymität und Schutz, hob Standesunterschiede auf, konnte die Person zu jemand anderem werden lassen, bot z.B. die Möglichkeit für den Casino-Besuch inkognito oder erotische Abenteuer. Kaum verwunderlich, dass daher Gesetze den Gebrauch der Masken in Venedig regelten: ab 1339 durfte man nachts nicht mehr maskiert durch die Straßen gehen, ab 1399 war der Besuch von Kirchen mit Maske verboten und 1608 wurde schließlich vom Rat der Zehn der Gebrauch von Masken auf die Karnevalstage beschränkt.

„Die“ venezianische Maske ist die „baùtta“, die nicht nur aus der Maske an sich besteht, sondern eine Gesamt-Verkleidung, die mit allen Komponenten die Möglichkeit bietet, unerkannt zu bleiben. Sie besteht aus einem schwarzen Umhang aus Samt oder Seide (tabarro) und einer das Gesicht aussparenden Spitzenkapuze (zendal). Über die Kapuze kommt die typische weiße Maske (larva), die den Mund zum Sprechen frei lässt, aber durch die besondere Ausformung die Stimme verfremdet. Schließlich setzt man noch den venezianischen Dreispitz (tricorno) auf den Kopf. Dieses Kostüm war sehr verbreitet, die baùtta trugen Männer wie Frauen, Adlige genauso wie einfache Leute, löst es doch die sozialen Unterschiede völlig auf.

Die „moretta“, eine kleine, ovale mit schwarzem Samt überzogene Maske, wurde ausschließlich von Damen getragen. An der Innenseite hatte diese Maske einen Knopf, den die Trägerin zwischen den Zähnen hielt. Da die Dame somit nicht sprechen konnte, blieb auch ihre Identität hinter der moretta verborgen.

Die charakteristische Schnabelmaske des „medico della peste“ hingegen hat ihren Ursprung nicht im Karneval, sondern in den Zeiten des schwarzen Todes. Sie diente den Pestdoktoren, meist gefüllt mit Kräutern, nur dazu, gebührenden Abstand zum Patienten zu halten. Das komplette Kostüm des Pestdoktors mit schwarzem Überwurf, Hut mit breiter Krempe und Stock, wird heute dennoch zu den klassischen Verkleidungen gezählt, ebenso wie Arlecchino, Pantalone, Pulcinella und Capitano aus der Comedia dell’Arte.

Nach knapp 200 Jahren Dornröschenschlaf wurde 1979 – maßgeblich initiiert von privaten Vereinen wie der „Scuola Granda di San Marco“ oder der „Compagnia della Calza“, die alte Traditionen reaktivieren wollen – zum ersten Mal wieder ein klassischer Karneval gefeiert. Kultur- und Tourismusreferat der Stadt erkannten das Potenzial und ab etwa 1982 bekam der wieder zum Leben erweckte Carnevale di Venezia weltweite Beachtung. Das Interesse trug zwar einerseits dazu bei, dass Handwerksbetriebe wie Maskenmacher und Kostümschneider zur neuen Blüte fanden, gleichzeitig sorgt der immer größer werdende Zustrom an Touristen in der Woche vor Aschermittwoch zu chaotischen Verhältnissen in der Lagunenstadt. Einbahnstraßen-Regelung in den Gassen, Showbühne mit Dauerbeschallung auf dem Markusplatz, Prosecco-Brunnen vor der Markuskirche und leider viel zu viele Menschen, die Unmengen an Abfall hinterlassen und teilweise mit Billig-Verkleidung (als Banane o.ä.!) mehr als deplatziert auffallen.

Wer ich wie das Glück hatte, schon Anfang der 1990er-Jahre zur Zeit des Carnevale in Venedig zu weilen und diese zauberhafte Maskenwelt ohne die heutige Durch-Organisation zu erleben, der muss jetzt schon viel Geduld aufbringen, um die wirklich lohnenden Augenblicke zu finden und fotografisch einzufangen. Dennoch: Venedig, diese einzigartige Stadt, ideales Bühnenbild für fantastische Kostümkreationen, scheint in den Karnevalstagen die Illusion der Vergangenheit und des Nicht-Alltäglichen perfekt zu projizieren und zieht jeden in den Bann.

Mit ein wenig Patina: Bilder vom Carnevale di Venezia der 1990er-Jahre:

Karneval in Venedig: Geschichte

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